Les Yeux des Tours
Foto: Laurent Kronental
Laurent Kronentals Fotografie bietet eine einzigartige Perspektive auf städtische Räume, in denen Architektur über bloße Strukturen hinausgeht – sie wird zum Zeugen gesellschaftlicher Veränderungen, zum Aufbewahrungsort von Erinnerungen und zur Leinwand für individuelle Lebensgeschichten. Seine Arbeiten, die sich häufig auf brutalistische und postmoderne Wohnsiedlungen sowie außergewöhnliche Stadtlandschaften konzentrieren, verbinden technische Präzision mit einem tief empathischen Blick, der die menschlichen und sozialen Schichten hinter den Fassaden einfängt.
29.08.2025
Chiara Desbordes: Wie sind Sie zur Fotografie gekommen?
Laurent Kronental: Ursprünglich habe ich einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Nach meinem Wirtschaftsstudium hätte ich mir nie vorstellen können, professioneller Fotograf zu werden. Während eines sechsmonatigen Aufenthalts in China hatte ich lediglich eine kleine Kamera dabei, hauptsächlich um Reisefotos zu machen. Dort begann ich, mit der Fotografie zu experimentieren, und entdeckte unerwartet meine Leidenschaft dafür. Die intensiven visuellen und kulturellen Erfahrungen in China weckten in mir eine Neugier und ein Staunen, die ich zuvor nicht gekannt hatte. Rückblickend war diese Faszination kein Zufall. Schon als Kind hatte ich eine tiefe Verbindung zu Bildern – insbesondere zu einem Buch über Hongkong, das mir meine Eltern geschenkt hatten. Das fast surreale Stadtbild hinterließ einen bleibenden Eindruck. Oftmals sind wir uns nicht bewusst, wie sehr bestimmte Orte oder Bilder uns prägen, aber sie werden still und leise Teil unserer inneren Welt und beeinflussen später unsere Lebensentscheidungen.
Welche sind Ihre wichtigsten fotografischen Projekte und was zeichnet sie aus?
Laurent Kronental:Von 2011 bis 2015 habe ich an "Souvenir d’un futur" gearbeitet, einer Serie, die Menschen porträtiert, die in großen Wohnsiedlungen leben. Bei diesem Projekt ging es darum, ein Gefühl für Zeit und Ort einzufangen sowie die Hoffnungen und Herausforderungen widerzuspiegeln, die diese Umgebungen verkörpern. Von 2015 bis 2017 entstand "Les Yeux des Tours", das die Intimität der BewohnerInnen durch ihre Fenster – Symbole für die Grenze zwischen privatem und öffentlichem Raum – untersuchte. Ich war fasziniert von der Idee einer Typologie, die zeigt, wie diese beiden Welten koexistieren und interagieren. Mein neuestes Projekt, Cité Oasis (2019–2023), habe ich in Zusammenarbeit mit meinem engen Freund Charly Broyez realisiert. Diese Serie konzentriert sich auf die Architektur von Jean Balladur in Südfrankreich. Im Gegensatz zu den dicht bebauten Wohnsiedlungen ist hier die Natur allgegenwärtig, fast wie ein tropischer Dschungel, der die Gebäude umhüllt. La Grande-Motte ist als Stadtpark konzipiert, wobei etwa 70 Prozent der Fläche der Natur gewidmet sind und der Schwerpunkt auf nachhaltiger, fußgänger- und fahrradfreundlicher Mobilität liegt. Diese urbane Vision, die an Le Corbusiers Chandigarh oder Niemeyers Werke erinnert, beinhaltet symbolische und sogar mystische Details und bietet eine faszinierende Reflexion darüber, wie die Stadt von morgen aussehen könnte.
Souvenir d'un Futur: Joseph, 88, Les Espaces d'Abraxas, Noisy-le-Grand, 2014Architect - Ricardo
Bofill
Foto: Laurent Kronental